Lehrermangel in Deutschland: Herausforderungen und Lösungsansätze für Schulen

Der Lehrermangel ist zu einem der drängendsten Probleme im deutschen Bildungssystem geworden. Tausende Stellen bleiben unbesetzt, Unterricht fällt aus, und Schulen greifen verstärkt auf Quer- und Seiteneinsteiger zurück. Die Auswirkungen sind bereits heute spürbar: In Thüringen fehlen z.B. Zehntausende Noten auf Halbjahreszeugnissen, weil zu viel Unterricht nicht stattfinden konnte. Doch wie ist die Situation entstanden und welche Maßnahmen können helfen?
Die aktuelle Situation: Zahlen und Prognosen
Die Bildungsministerkonferenz hat im Februar 2025 ihre Prognose zum Lehrermangel aktualisiert. Die Zahlen sind alarmierend: Bis 2035 werden etwa 49.000 ausgebildete Lehrkräfte fehlen, um alle offenen Stellen zu besetzen. Diese Lücke entsteht durch das Missverhältnis zwischen dem prognostizierten Bedarf und der Anzahl verfügbarer Lehramtsabsolventen.
Besonders kritische Zeiträume
Vor allem bis 2026 wird die Situation dramatisch: Nur rund 22.500 Neuabsolventen stehen einem Bedarf von 30.700 Stellen gegenüber. Dies entspricht einer Deckungslücke von über 25 Prozent. Die Länder werden vor enormen Herausforderungen stehen, um die Unterrichtsversorgung sicherzustellen.
Eine leichte Entspannung ist erst für den Zeitraum von 2027 bis 2030 zu erwarten, wenn voraussichtlich 33.800 Personen ihre Lehramtsausbildung abschließen werden bei einem Bedarf von etwa 26.000 Stellen. Allerdings bleiben bestimmte Bereiche weiterhin kritisch unterversorgt.
Regionale und schulartspezifische Unterschiede
Besonders betroffen sind die Lehrämter für den Sekundarbereich I und die beruflichen Schulen. Während sich die Situation im Primarbereich langfristig entspannen soll, ist hier noch nicht der zusätzliche Bedarf durch den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ab 2026 einkalkuliert.
Regional zeigen sich deutliche Unterschiede: Ostdeutsche Bundesländer sind besonders stark betroffen, aber auch westliche Länder kämpfen mit unbesetzten Stellen. Die Unterrichtsversorgung variiert selbst innerhalb der Länder erheblich zwischen verschiedenen Regionen.
Ursachen des Lehrermangels
Die Wurzeln des Lehrermangels sind vielfältig und haben sich über Jahre hinweg entwickelt:
Demografische Faktoren
Ein entscheidender Faktor ist die Altersstruktur der aktuellen Lehrerschaft. Mehr als ein Drittel (36,2 Prozent) aller Lehrerinnen und Lehrer ist älter als 50 Jahre, 10,6 Prozent sind bereits 60 Jahre oder älter. Diese Jahrgänge werden in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen und müssen ersetzt werden.
Besonders in den ostdeutschen Bundesländern ist die Situation kritisch: In Sachsen-Anhalt sind 57,1 Prozent der Lehrkräfte über 50 Jahre alt, in Thüringen 53,5 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern 52,5 Prozent.
Strukturelle Probleme in der Ausbildung
Die Ausbildungskapazitäten reichen nicht aus, um den Bedarf zu decken. Obwohl die Zahl der Studienplätze in den vergangenen Jahren um 17 Prozent gestiegen ist, ist die Zahl der Absolventinnen und Absolventen paradoxerweise gesunken. Viele Lehramtsstudierende brechen ihre Ausbildung ab oder wechseln in andere Studiengänge.
Hinzu kommt, dass viele Bundesländer nicht bedarfsgerecht ausbilden. Es fehlt eine koordinierte, länderübergreifende Planung, die den tatsächlichen Bedarf mit der Ausbildungskapazität abstimmt.
Verändertes Arbeitsverhalten
Die Teilzeitquote bei Lehrkräften ist kontinuierlich gestiegen und erreichte im Schuljahr 2022/23 einen neuen Rekord von 42,3 Prozent. Dies verschärft den Mangel an verfügbaren Unterrichtsstunden zusätzlich, da mehr Personen benötigt werden, um die gleiche Anzahl von Stunden abzudecken.
Besonders betroffene Fächer
Der Lehrermangel betrifft nicht alle Fächer gleichermaßen. Besonders dramatisch ist die Situation in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Studien prognostizieren, dass Schulen im Jahr 2030/31 nur ein Drittel der benötigten ausgebildeten MINT-Fachlehrkräfte zur Verfügung haben werden.
Dramatische Entwicklung in Informatik
Das Fach Informatik ist besonders betroffen. In Rheinland-Pfalz beispielsweise haben 2020 nur 17 von rund 1.200 Lehramtsabsolventen das Fach Informatik belegt. Von diesen schlossen lediglich 10 ihr Zweites Staatsexamen ab. Die Zahl der Informatiklehrkräfte sinkt kontinuierlich, obwohl die Digitalisierung dieses Fach immer wichtiger macht.
Ursachen für Mangelfächer
Die Unbeliebtheit bestimmter Fächer bei Lehramtsstudierenden hat verschiedene Gründe:
- Bessere Verdienstmöglichkeiten in der freien Wirtschaft
- Unattraktive Arbeitsbedingungen
- Mangelnde gesellschaftliche Wertschätzung
- Unzureichende Ausstattung der Schulen
Maßnahmen gegen den Lehrermangel
Die Bundesländer versuchen mit verschiedenen Ansätzen, dem Lehrermangel zu begegnen:
Quer- und Seiteneinstieg
Der Anteil der Lehrkräfte ohne klassische Lehramtsausbildung hat sich in den vergangenen Jahren fast verdoppelt. Inzwischen steht jede zehnte Lehrkraft (9,8 Prozent) vor einer Klasse, ohne eine anerkannte Lehramtsprüfung zu haben.
Seiteneinsteiger haben zwar ein für das Lehramt relevantes Fach studiert, aber kein Lehramtsstudium absolviert. Sie durchlaufen je nach Bundesland unterschiedlich intensive Vorbereitungskurse und werden berufsbegleitend weiterqualifiziert.
Die Kultusministerkonferenz hat 2024 beschlossen, die Lehrerausbildung weiter zu öffnen und gemeinsame Rahmen für Ein-Fach-Lehrkräfte, duale Lehramtsstudiengänge und Quereinstiegs-Masterstudiengänge zu schaffen.
Quelle: Zahlen und Daten vom Deutschen Schulportal
Entlastung und Attraktivitätssteigerung
Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) hat verschiedene Empfehlungen ausgesprochen:
- Befristete Begrenzung von Teilzeitarbeit
- Einsatz von Lehrkräften im Ruhestand
- Entlastung von unterrichtsfremden Aufgaben
- Flexibler Umgang mit Klassengrößen
- Ausweitung von Hybridunterricht in höheren Klassenstufen
Diese Maßnahmen sind als Notlösungen gedacht und sollen zeitlich befristet bleiben.
Regionale Anreize
Viele Länder bieten mittlerweile finanzielle Anreize für Lehrkräfte, die in unterversorgten Regionen arbeiten:
- Brandenburg hat das "Brandenburg-Stipendium Landlehrerinnen und Landlehrer" aufgelegt
- Thüringen hat ein neues Zulagensystem beschlossen
- Verschiedene Länder bieten Umzugshilfen und andere Vergünstigungen
Internationale Fachkräfte
Die Qualifizierung von geflüchteten Lehrkräften und die Anerkennung ausländischer Abschlüsse werden als wichtige Potenziale gesehen. Programme wie das der Universität Potsdam zeigen, wie eine 18-monatige Qualifizierung den Berufseinstieg ermöglichen kann. Allerdings scheitern viele Teilnehmende an hohen sprachlichen und bürokratischen Hürden.
Auswirkungen auf den Schulalltag
Der Lehrermangel hat bereits heute massive Auswirkungen auf den Schulbetrieb:
Unterrichtsausfall
In Sachsen fallen landesweit fast 15 Prozent der Unterrichtsstunden aus. In Thüringen wurden zum Schulhalbjahr 2024/25 bereits 60.986 Noten nicht vergeben – deutlich mehr als im Vorjahr. Überall dort, wo Fächer aufgrund des Lehrermangels nicht oder nur fachfremd unterrichtet werden können, steigt die Zahl der fehlenden Zeugnisnoten.
Überlastung der vorhandenen Lehrkräfte
Die verbleibenden Lehrkräfte müssen höhere Arbeitsbelastungen stemmen. Mehrarbeit wird zur Regel, und die Qualität des Unterrichts leidet unter der permanenten Überforderung.
Fachfremder Unterricht
Immer häufiger müssen Lehrkräfte Fächer unterrichten, für die sie nicht ausgebildet sind. Dies betrifft besonders die MINT-Fächer, aber auch andere Bereiche wie Musik oder Kunst.
Langfristige Lösungsansätze
Um den Lehrermangel nachhaltig zu bekämpfen, sind strukturelle Reformen notwendig:
Reform der Lehrerbildung
Die Kultusministerkonferenz hat sich darauf verständigt, die Lehramtsstudiengänge bedarfsbezogen weiterzuentwickeln und den Wechsel von anderen Studiengängen ins Lehramt zu erleichtern. Auch duale Studiengänge und Ein-Fach-Lehrkräfte sollen stärker gefördert werden.
Verbesserung der Arbeitsbedingungen
Langfristig ist eine grundlegende Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte notwendig:
- Entlastung von administrativen Aufgaben
- Bessere technische Ausstattung
- Kleinere Klassen
- Mehr Unterstützungspersonal
Gesellschaftliche Wertschätzung
Die Attraktivität des Lehrerberufs muss gesteigert werden. Dies umfasst nicht nur finanzielle Aspekte, sondern auch die gesellschaftliche Anerkennung und bessere Karriereperspektiven.
Koordinierte Planung
Eine bundesweite Koordination der Lehrerausbildung könnte helfen, Bedarfe und Kapazitäten besser aufeinander abzustimmen. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK ist ein erster Schritt in diese Richtung.
Fazit: Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Der Lehrermangel ist nicht nur ein bildungspolitisches Problem, sondern eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Die Folgen betreffen nicht nur die Schulen, sondern die gesamte Gesellschaft, wenn ganze Generationen von Schülerinnen und Schülern nicht angemessen gebildet werden können.
Die aktuellen Maßnahmen können kurzfristig Linderung bringen, aber sie reichen nicht aus, um das Problem nachhaltig zu lösen. Notwendig sind strukturelle Reformen, die die Attraktivität des Lehrerberufs steigern, die Ausbildung verbessern und die Arbeitsbedingungen an Schulen grundlegend erneuern.
Dabei kann auch moderne Technologie unterstützen: Eine effiziente Klassenverwaltung und die Nutzung digitaler Tools können Lehrkräfte von administrativen Aufgaben entlasten und mehr Zeit für die pädagogische Arbeit schaffen. Die digitale Schule bietet Möglichkeiten, Unterricht effizienter zu gestalten und neue Lernformen zu etablieren.
Nur durch konzertierte Anstrengungen aller Beteiligten – von der Politik über die Schulträger bis hin zur Gesellschaft – kann der Lehrermangel bewältigt und die Qualität der Bildung in Deutschland gesichert werden.
Datenquelle: Die statistischen Angaben und aktuellen Zahlen zum Lehrermangel in diesem Artikel stammen vom Deutschen Schulportal. Weitere Informationen finden Sie unter: https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/lehrermangel-bleibt-bundesweit-ein-problem/ (Stand: Februar 2025)